Der Domschatz kehrt zurück: Merseburger Kunstwerke aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden

Im Bestand der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Rüstkammer, haben sich verschiedene Kunstwerke erhalten, die ursprünglich aus Merseburg stammen. Diese gehörten dort zum Bestand der bischöflichen Silberkammer, in der neben den bischöflichen Gewändern auch Urkunden, Geschäftsbücher aber auch wertvolle Gewürze aufbewahrt worden. Der während der Reformation und nach dem 30-jährigen Krieg dezimierte Silberschatz ging in den Besitz der weltlichen Administratoren über und wurde weitergegeben. Nach dem Tod des Herzogs Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg sind die Stücke 1732 im sog. „Grünen Gewölbe“ im Schloss Merseburg inventarisiert worden. Hervorzuheben sind vier Bischofsmitren, von denen hier zwei gezeigt werden. Sie zeichnen sich durch ihre kostbare Ausstattung und ihre gemeinsame Herkunft aus. Nach dem Aussterben der Herzöge von Sachsen-Merseburg 1738 fielen deren Besitztümer an die in Dresden residierende Hauptlinie des albertinischen Fürstengeschlechts. So gelangten einige Kunstwerke in das Dresdner Grüne Gewölbe, darunter auch die vier „Bischoffs Mützen“. Die Pontifikalhandschuhe lassen sich nicht sicher den Gegenständen zuweisen, die aus Merseburg nach Dresden gelangt sind. Der Buchsbaumdolch, den die Legende Rudolf von Rheinfelden zuweist, ist vielleicht schon im späten 16. Jahrhundert als Geschenk nach Dresden gekommen.

Am 27. April 1835 überwies man alle Stücke an das Historische Museum Dresden (heute wieder Rüstkammer), die Herkunft aus Merseburg geriet jedoch in Vergessenheit. Nach der kriegsbedingten Auslagerung 1943–44, der Überführung in die Sowjetunion und der Rückkehr der Objekte 1958 ist die Herkunft der Mitren aus Merseburg wiederholt publiziert worden.

So bilden die Merseburger Stücke in den Dresdner Sammlungen einen besonderen Bestand, der sich aus der jahrhundertelangen Nähe der Bischofsstadt zu den wettinischen Schutzfürsten und der nach der Reformation erfolgten Administration erklärt. Während Teile des Domschatzes bis heute in der unmittelbaren Verfügung des Domkapitels blieben, sind die bischöflichen und damit „staatlichen“ Objekte weggeführt worden. Durch die Ausstellung werden sie in Merseburg am authentischen Ort zusammen mit den hier verbliebenen Stücken gezeigt.

Mitra

Böhmen, um 1360-1370
Bild- und Reliefstickerei auf Leinen, Goldgespinnst, mehrfarbige Seidenfäden, Anlegetechnik, Spaltstich, Knötchenstich; Zwischenlage Pergament; Quasten Seide rot mit türkischen Knoten aus Goldgespinst; Futter Seidenatlas rot (verblichen) und grün; Futter der Bänder Seidentaft altrosa
H. 34,4 cm, B. max. 29,8 cm, L. Bänder 58,7 cm, Gewicht 379 g
Rüstkammer, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. i. 84

Die Mitra ist komplett mit Goldgespinst und figürlichen Darstellungen in bunter Seidenstickerei überzogen. Vor dem Goldgrund heben sich die Heiligenfiguren mit ihren strahlenden Farben klar ab. Sie sind in der Technik der sogenannten Nadelmalerei ausgeführt. Dabei werden die farbigen Stiche in unterschiedlicher Länge ausgeführt, so dass sie ineinandergreifen und feinste Schattierungen erzeugen. Die Blütezeit der böhmischen Bildstickerei, der diese Arbeit zuzuordnen ist, lag im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts in Prag. Die breite waagerechte Borte am unteren Rand der Mitra und die gleich breite senkrechte Borte, die von der Spitze nach unten führt, gehen ineinander über und teilen die Fläche in mehrere Felder auf. Auf der Vorderseite an zentraler Stelle ist die Muttergottes Maria mit dem Kind gestickt. Sie hält das Kind auf dem Arm und umhüllt es mit ihrem Mantel. Der Blick des Kindes ist der Mutter zugewandt. Maria wird links flankiert von der heiligen Katharina mit dem Rad sowie rechts von der heiligen Maria Magdalena mit dem Salbgefäß. Über Maria schwebt ein betender Engel mit aufragenden Flügeln, ihm zur Seite befinden sich links Johannes der Täufer mit dem Lamm Gottes, rechts der heilige Laurentius mit dem Rost. Diese beiden Heiligen sind die Hauptpatrone des Merseburger Domstifts.

Auf der Rückseite der Mariendarstellung entsprechend, bildet Christus in halber Figur den Mittelpunkt. Links von ihm findet sich Johannes der Evangelist mit dem Adler und rechts der hl. Petrus mit dem Schlüssel. Oben über Christus schwebt wieder ein betender Engel, ihm zur Seite links der heilige Romanus (oder hl. Georg) mit Lanze und Schild und rechts der heilige Diakon Maximus (oder hl. Diakon Stephanus) mit Palmenzweig und Evangelium. Auf den herabhängenden Bändern erscheint oben je ein betender Engel mit aufragenden Flügeln, dann folgen unter gotischen Maßwerkbaldachinen links die heilige Margarethe mit dem Drachen, rechts der heilige Jacobus mit der Muschel, zuletzt links die heilige Dorothea mit Rosen im Haar und Korb und rechts der heilige Andreas mit dem schrägen Balkenkreuz. Die prominent an der Hauptseite dargestellten Hauptpatrone der Merseburger Domkirche sprechen für die Anfertigung für einen Merseburger Bischof. Stilistisch lässt sich die aus der Blütezeit der böhmischen Nadelmalerei stammende Mitra in die Amtszeit des Bischofs Friedrich II. von Hoym (1357–1382) einordnen, der gute Kontakte zum Kaiserhof in Prag pflegte. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit seiner Person lässt sich jedoch bislang nicht belegen.

Mitra

Vielleicht Hans Plock, Halle, wohl 1514–1526 (vor 1537)
Relief- und Perlenstickerei auf Leinen naturfarben, Goldgespinst, Seide weiß, rot und grün, Pergament, Werg, Flussperlen, Anlegetechnik, Applikationsstickerei; Zwischenlage Pappe ergänzt; Einfassung gewebte Borte Seide rot; Quasten Seide rot mit türkischen Knoten aus Goldgespinst; Futter Seidendamast rot (verblichen) mit Webkante grün und gelb; Futter der Bänder Seidentaft altrosa
H. 38 cm, Br. max. 35,5 cm, L. Bänder 38 cm, Gewicht 757 g
Rüstkammer, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. i. 85

Die Mitra aus Goldgespinst und Perlenstickerei entspricht mit ihrer geschwungenen Seitenkante der Mitrenform ab dem 16. Jahrhundert. Die senkrechten und die schrägen Schmuckbänder sowie die waagerechte Borte am unteren Rand der Mitra sind mit ornamentaler Perlenstickerei versehen. Sie dekoriert ebenso die beiden herabhängenden Bänder. Die Stickerei besteht aus reliefartig hervorgehobenem Bandornament, das durch feine Perlenschnüre betont wird. Das Ornament entwickelt sich aus einem Vasen- oder Schalenmotiv und setzt sich, ein- und ausschwingend nach oben fort. Die kraftvollen Schwünge weisen Parallelen zu Radierungen des Ornamentstechers Daniel Hopfer d.Ä. (ca. 1471–1536) auf. Die durch die gestickten Schmuckbänder entstandenen Felder der Mitra sind mit einem rautenförmigen Netz von Perlenschnüren ausgefüllt. Darauf sitzt jeweils eine große Rosette aus Distelblättern, wie man sie als „Gotisches Distelblatt“ ebenfalls auf einer Radierung von Daniel Hopfer d.Ä. findet.

Als ausführender Handwerker wurde der am Hof des Kardinals Albrecht von Brandenburg tätige Seiden- und Perlensticker Hans Plock vermutet, wofür Analogien zur Perlenstickerei auf dem Kaselkreuz des Kardinals in Merseburg sowie dem Hassenstein[1]Lobkowitzer Perlenaltar herangezogen werden. Daraus resultierte die Annahme, dass die Mitra aus dem Besitz des Kardinals Albrecht stammen könnte. Dem widerspricht der mit großer Wahrscheinlichkeit auf diese Mitra zu beziehende Eintrag im Silberinventar der Merseburger Bischöfe von 1537, wo „eine nawe infuel mit perlin gestickt bischoff Adolff machen lassen“ eingetragen ist. Demnach wäre der Merseburger Bischof Adolf von Anhalt (1514–1526) der Auftraggeber. Ob dieser die Bestellung bei Hans Plock in Halle oder bei einem anderen kunstfertigen Perlensticker aufgab, lässt sich anhand der erhaltenen Quellen bisher nicht eindeutig sagen. Spätere Nachrichten überliefern, dass sich die Mitra nach 1552 in der Silberkammer der Merseburger Bischöfe befand und noch vom letzten Bischof Michael Helding (Bischof in Merseburg 1549-1561) verwendet wurde, denn sie gehörte zu den Gegenständen, die nach seinem Tod nach Merseburg zurückgeholt wurden.

Pontifikalhandschuhe

Spanien/Italien?, 16. Jahrhundert
Seide rot, blau, Goldgespinst, gestrickt; Posamenten Goldgespinst mit Holzkern (linker Handschuh ein Knopf, rechter Handschuh zwei Knöpfe); linker Handschuh Schlaufengeflecht rote Seide und Goldgespinst, 8 türkische Knoten aus Goldgespinst
rechts: L. 25,2 cm, Br. (inkl. Knoten) 15 cm, Gewicht 37 g, links: L. 26,3 cm, Br. (inkl. Knoten) 15,5 cm, Gewicht 45 g
Rüstkammer, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. i. 98/1

Die Handschuhe sind aus feinstem roten Seidengarn gestrickt. Das goldene Christusmonogramm auf dem Handrücken weist sie als liturgische Kleidung aus. In einem Stück glatt rechts gearbeitet sind in die rote Seide zierliche goldene Streifen an den Fingern sowie eine goldene Gloriole mit dem „IHS“ eingestrickt. Die sich verbreiternden Stulpen bestehen aus mehreren Musterstreifen aus Goldgespinst sowie blauer und roter Seide. Am auffälligsten ist das Mittelband aus einem Rad- oder Rosettenmuster in Rot und Blau auf goldenem Grund. An den Außenseiten hängen Zierknöpfe aus Posamentierarbeit an Kordeln.

Liturgische Handschuhe wurden seit dem 10. Jahrhundert vom Papst, Kardinälen und Bischöfen bei der Ausübung des Pontifikalamtes getragen. Die frühesten gestrickten Pontifikalhandschuhe, die sich erhalten haben, stammen aus dem 12. Jahrhundert. Den Farben der Kaseln und den liturgischen Farben im Kirchenjahr entsprechend sind die Handschuhe in Weiß, Rot, Grün, Violett, Rosa, Gelb und Blau hergestellt worden. Erhalten haben sich in verschiedenen Museen vorwiegend Exemplare aus roter Seide. Auf Basis der Muster lässt sich bei der Herstellung auf eine zeitweise unter arabischem Einfluss befindliche Regionen, wie Spanien oder Italien, schließen. Die weltliche Seidenstrickmode (Strümpfe) nahm im 16. Jahrhundert ihren Anfang in Spanien und Italien. Dieses Paar Handschuhe gelangte zwischen 1619 und 1640 in die kurfürstlich[1]sächsische Kunstkammer in Dresden, wohin sie sicherlich aufgrund ihrer ungewöhnlichen und kostbaren Ausstattung gegeben wurden. Einen Hinweis auf den Geschenkgeber und das exakte Jahr ist nicht überliefert.

Dolch mit Futteral – sogenannter Dolch Rudolfs von Rheinfelden

Deutsch, 15.–17. Jahrhundert, Buchsbaumschnitzerei: 15. Jahrhundert; Klinge und Sillberschläge: 16. Jahrhundert; Futteral: 17. Jahrhundert
Dolch: Gratklinge Stahl; Griff Buchsbaum; Beschläge, Haltering, Kette, Haken: Silber vergoldet; Futteral: Holz, Leder hellbraun (Reste von Schwärzung), Goldprägung (Gold teils Verlust); Beschläge Messing, graviert; Futter Seidensamt karmesinrot
Dolch: L. 33,4 cm, L. Klinge 18,4 cm; Etui: Dm. max. 8,3 cm, L. 39,5 cm; Haltering: Dm. 6,4 cm, H. 1,1 cm
Rüstkammer, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. p. 188

Der Dolch mit seinem reich geschnitzten Buchsbaumgriff zählt zu den herausragenden Stücken des 15. Jahrhunderts im Bestand der kurfürstlich-sächsischen Rüstkammer. Der erste Inventareintrag stammt von 1671 und führt den Dolch mit einer Lederscheide sowie einem mit Gold geprägtem Futteral samt schriftlichem Dokument auf. Mit dem Motiv der hohen Frau (der Frau Minne), die den Wilden Mann bändigt, wird in der Schnitzerei das ideale Frauenbild im Spätmittelalter vorgeführt. Man erkennt eine geflügelte Dame mit Haube, die auf einem aus zwei Wilden Männern gebildeten Thron sitzt und ein Hündchen – Zeichen für Häuslichkeit – auf dem Schoß hält. Daneben sieht man einen weiteren Wilden Mann, der von einer Frau gefesselt an einer Kette geführt wird. Spätgotische Architekturmotive überfangen die figürlichen Szenen.

Das dazugehörige Dokument impliziert, dass der Dolch im 16. Jahrhundert aus dem Nachlass der Merseburger Bischöfe in den Besitz der sächsischen Kurfürsten gelangte. Der Text weist den Dolch zudem in das 11. Jahrhundert, zu Rudolf von Rheinfelden, Herzog von Schwaben (um 1025–1080). Nach der Bannung des römisch-deutschen Königs Heinrich IV. (1050–1106) im Jahr 1077 wurde Rudolf durch die Fürstenopposition zum Gegenkönig gewählt. Er starb aber bereits 1080, nachdem er im Kampf gegen Heinrich IV. schwer verwundet wurde und dabei seine rechte Hand verlor. Den Dolch soll er – so das beigegebene Dokument – bei diesem letzten Kampf geführt haben. Die Buchsbaumschnitzerei ist thematisch und künstlerisch im 15. Jahrhundert anzusetzen, als sich die Darstellungsfelder der Minneikonographie von Minnekästchen, Buchmalerei und Elfenbeinschnitzerei auf die Druckgrafik und Wandteppiche verlagerte. Eine aus dem 16. Jahrhundert stammende Klinge verwandelte das Objekt in eine Waffe vom Typ eines Scheibendolchs. Aus dem 17. Jahrhundert stammen das Dokument sowie das Futteral.

Die vielen Zeitschichten des Objektes zu einem konkreten Herkunftsszenario zusammenzufassen, fällt schwer, da das Stück nicht vor 1671 in Dresden nachweisbar ist. Es kann jedoch vermutet werden, dass der Dolch im 16. oder 17. Jahrhundert bewusst als ein vermeintlich bezeugtes, historisches Sachzeugnis des 11. Jahrhunderts kreiert wurde. Die legendäre Verknüpfung mit Herzog Rudolf von Schwaben bildet die Brücke zum Merseburger Domstift.

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